Malta will ausländische Gerichtsurteile gegen heimische Glücksspielbetreiber nicht mehr vollstrecken. Die deutsche GGL hält das für unzulässig, die MGA sieht lediglich geltendes Recht umgesetzt. Bis EU-Kommission oder gar EuGH entscheiden, könnte noch viel Zeit ins Land gehen.
Die Bill No. 55 zeigt jedoch: Im Ausland regt sich Widerstand gegen die deutsche Glücksspielregulierung. Diese gerät ohnehin zunehmend in die Kritik – die sich mittlerweile auch gegen die GGL selbst richtet.
Die Bill No. 55: Eine Zäsur aus Malta
Der EU Mitgliedstaat Malta hat im Juni die sogenannte Bill No. 55 veröffentlicht. Dabei geht es im Kern um den Schutz maltesischer Glücksspielunternehmen gegen zivilrechtliche Forderungen aus dem Ausland.
Die Bill No. 55 richtet sich vor allem gegen Klagen von Spielern in anderen EU-Mitgliedstaaten, die auf diesem Weg in maltesischen Online Casinos verlorenes Geld einzufordern versuchen. Der Gang vor Gericht ist durchaus erfolgversprechend. Mehrere Urteile unter anderem aus Deutschland und Österreich sprachen Spielern in der Vergangenheit einen Anspruch Schadenersatz zu.
Begründet wurde dies stets damit, dass die Spieler nicht in maltesischen Online Casinos hätten spielen dürfen. Diese Einschätzung bleibt jedoch bis heute nicht unumstritten, weil die EU Unternehmen Niederlassungsfreiheit gewährt. Die Bill No. 55 jedenfalls legt fest, dass zivilrechtliche Ansprüche von Spielern aus anderen EU-Mitgliedstaaten in Malta nicht vollstreckt werden.
Der Rechtsweg ist damit keinesfalls ausgeschlossen: Spieler müssen allerdings ein maltesisches Gericht bemühen und ihre Ansprüche dort durchsetzen. Da die maltesischen Gerichte nicht der deutschen Rechtsauffassung anhängen, dürften die Erfolgsaussichten jedoch deutlich geringer sein. In Malta geht die Rechtsprechung davon aus, dass die EU Niederlassungsfreiheit auch für Online Casinos gilt.
GGL lehnt Bill No. 55 als unzulässig ab
Die gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder – eigens gegründet nach Inkrafttreten des deutschen Glücksspielstaatsvertrags 2021 – hält die Bill No. 55 für unzulässig und beruft sich dabei nicht ganz überraschend auf europäische Regelungen.
„Wir vertreten die Auffassung, dass dieses Gesetz mit europäischen Vorgaben zur Anerkennung von Entscheidungen (Verordnung (EU) 1215/2012) nicht vereinbar sein dürfte“, heißt es auf der Homepage der Behörde. Die genannte Verordnung regelt die Abwicklung und Durchsetzung von Gerichtsurteilen über die Grenzen verschiedener EU-Mitgliedstaaten hinweg.
Die Behörde räumt allerdings selbst ein, in der Sache gar nicht zuständig zu sein. Schließlich ist die Behörde nicht für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche verantwortlich. Die Behörde droht aber indirekt Glücksspielunternehmen mit Lizenzen in Malta und Deutschland.
„Inwiefern sich das Berufen eines Glücksspielanbieters auf „Bill No. 55“ in zivilrechtlichen Fallgestaltungen auch auf die glücksspielrechtliche Zuverlässigkeit durchschlagen kann, bleibt eine Frage des jeweiligen Einzelfalls“. Soll heißen: Wer in Malta und Deutschland mit Lizenzen unterwegs ist und sich für das maltesische Geschäft auf die Bill No. 55 beruft, erhält in Deutschland möglicherweise keine Lizenz.
MGA hält dagegen
Die maltesische Glücksspielaufsichtsbehörde MGA hält dagegen verteidigt das Gesetz gegen Kritik. So stehe die Bill 55, auch bekannt als Artikel 56A des maltesischen Glücksspielgesetzes, nicht im Widerspruch zu europäischem Recht.
Die MGA verweist auf dieselbe Verordnung wie die GGL, bezieht sich aber auf einen Abschnitt in der Neufassung. Dieser besagt, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung eines Gerichtsurteils verweigern kann, wenn es nicht mit den Grundsätzen seines Rechtssystems übereinstimmt.
Der Gesetzgeber habe deshalb mit der Bill No. 55 nicht versucht, neue Ausnahmen von der Verordnung einzuführen. Vielmehr sei es darum gegangen, „die langjährige öffentliche Politik Maltas in Bezug auf den Glücksspielsektor gesetzlich zu verankern“.
Außerdem sei der Anwendungsbereich der Bill No. 55 äußerst restriktiv. Das Gesetz sehe bestimmte Bedingungen für die Unterbindung rechtlicher Schritte gegen maltesische Glücksspielunternehmen vor. Nicht alle rechtlichen Schritte gegen einen in Malta lizenzierten Anbietern würden dadurch abgeblockt. So könne ein Betreiber nur dann vor einer Klage geschützt werden, wenn seine Spielaktivitäten gemäß den lokalen Gesetzen legal seien.
Die MGA argumentiert ferner, dass die Glücksspielgesetze Maltas unter die Regelungen des freien Dienstleistungsverkehrs in der EU fielen. Der maltesischen Regulierungsrahmen entspreche vollständig dem EU-Recht und basiere auf den Freiheiten, die im Binnenmarkt ansässigen Unternehmen gewährt würden.
Das letzte Wort hat nun die EU-Kommission, die die Bill No. 55 im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit EU-Recht prüfen will. Dazu wurden bei den maltesischen Behörden weitere Informationen angefordert. Nach der Entscheidung der Kommission steht allen Beteiligten der Gang vor den Europäischen Gerichtshof offen. Dieser hatte in der Vergangenheit häufiger Streitigkeiten zwischen europäischem und nationalem Recht entschieden.
Kritik an deutscher Regulierung wächst
An der deutschen Glücksspielregulierung regt sich durchaus Kritik. Der Gesetzgeber wollte einen sicheren Rahmen für Spieler schaffen und insbesondere den Graumarkt zurückdrängen. Mehr als zwei Jahre nach dem Inkrafttreten des Staatsvertrags ist die Dynamik jedoch ausgesprochen überschaubar.
Nur wenige Anbieter sind mit wirklich ambitionierten Angeboten am Markt vertreten. Viele GGL Lizenznehmer sind jedoch gar nicht gestartet, bieten nur ein sehr eingeschränktes Spieleangebot oder haben sich – in einem Fall – sogar schon wieder zurückgezogen.
Die Gründe für die schwache Dynamik liegen aus Sicht von Branchenbeobachtern auf der Hand: Der Gesetzgeber ist bei der Regulierung über das Ziel hinausgeschossen. Aus Sicht der Betreiber wirken insbesondere das anbieterübergreifende monatliche Einzahlungslimit von 1000 EUR das 1 EUR Einsatzlimit dämpfend.
Auf dem deutschen Markt lässt sich unter diesen Bedingungen sehr viel schwieriger Geld verdienen als im Ausland. Zwar sind höhere Limits bei einigen Anbietern auf Antrag möglich. Spieler müssen dann aber eine Bonitätsprüfung über sich ergehen lassen – was erfahrungsgemäß viele abschreckt.
Aus Sicht von Spielern wirken überschaubare Spielesortimente und ein regulatorisch verlangsamtes Gameplay unattraktiv. Viele deutsche Online Casinos bieten lediglich 100 bis 200 Spielautomaten an. Bankhalterspiele wie Roulette und Blackjack sind ebenso nicht im Angebot wie Jackpots. Das Spielerlebnis wird dadurch im Vergleich zu ausländischen Anbietern klar eingeschränkt. Auch die strikte Überwachung durch Behörden – die GGL wird in Echtzeit über Einzahlungen und die Aufnahme des Spielaktivität informiert – wirkt auf viele Spieler übertrieben.
So könnte es dazu kommen, dass der Spielerschutz in Deutschland am Ende zu streng ist, um wirken zu können. Wird die Regulierung als zu übergriffig wahrgenommen, entscheiden sich Spieler für Angebote aus dem Ausland und lassen den deutschen Markt links liegen. Dann haben die deutschen Behörden gar keine Gestaltungsmöglichkeiten – und auch der deutsche Fiskus geht leer aus.
GGL wegen umstrittener Studienvergabe unter Druck
Auch die GGL steht in der Kritik. Zum einen wird die Gründung der neuen Behörde an sich bemängelt, gibt es doch in vielen Bundesländern bereits Kapazitäten für die Glücksspielaufsicht. Hinterfragt wird auch, warum die GGL gar nicht für alles zuständig ist. So müssen Bundesländer Bankhalterspiele lizenzieren, die Führung der Spielersperrdatei OASIS obliegt weiterhin dem Regierungspräsidium Darmstadt.
Zum anderen wurde die Vergabe einer Studie durch die Behörde vor wenigen Wochen kritisiert. Ein Forscher erhielt einen Auftrag im Volumen von 750.000 EUR, obwohl er selbst am Entwurf der Ausschreibung beteiligt war.
Worum geht es? Die GGL will eine dreijährige Evaluierung durchführen, um die Wirkung des aktuellen Staatsvertrags zu überprüfen. Die dazu notwendige Studie wurde an Drittanbieter ausgelagert. Es kam wie gesetzlich vorgeschrieben zu einer Ausschreibung. Hier fand sich jedoch lediglich ein Anbieter – und zwar der Wissenschaftler, der zuvor Empfehlungen für die Durchführung der Studie unterbreitet hatte.
756.302,52 gehen an Dr. Tobias Hayer, Institut für Public Health und Pflegeforschung und sein Team an der Universität Bremen. Er forscht seit mehr als 20 Jahren zum Thema Glücksspiel und Glücksspielsucht und ist Mitglied des Fachbeirats Glücksspiel. Dieses siebenköpfige Gremium berät die Bundesländer und unterbreitet der GGL Vorschläge für wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Glücksspielsucht.
Auch die aktuelle Studie zur Evaluierung des deutschen Vertrags wurde durch den Fachbeirat vorgeschlagen. In einer Sitzung machte Hayer konkrete Empfehlungen für die Umsetzung der Studie und forderte eine möglichst umfassende, qualitativ anspruchsvolle Evaluationsforschung. Er betonte, dass nur anerkannte Wissenschaftler mit der Durchführung der Studie betraut werden sollten – und keinesfalls die Länder selbst.
Ein Teil der Vorschläge wurde bei der Ausschreibung durch die GGL berücksichtigt. Ein Vorteil für Hayer: Die europaweite Ausschreibung startete im März 2023 und lief lediglich 30 Tage. Zu wenig Zeit für Uneingeweihte, ein fundiertes Angebot mit professionellem Forschungsdesign vorzulegen. Deshalb blieb es bei der Bewerbung von Hayer, der schließlich auch den Zuschlag erhielt.
Blick auf die Whitelist: Der Glücksspielmarkt im Netz bleibt in maltesischer Hand
Die Studie dürfte auch die Wirkung der deutschen Regulierung auf den internationalen Markt in den Blick nehmen. Doch wie national ist der derzeitige deutsche Glücksspielmarkt im Netz eigentlich?
Bei der GGL sind derzeit 40 Unternehmen für virtuelle Automatenspiele lizenziert. Neun davon kommen aus Deutschland, eines aus Österreich. Unter den deutschen Anbietern sind etwa die staatliche Lotto-Toto GmbH Baden-Württemberg, die Sächsische Spielbanken GmbH & Co. KG, Lotto Hessen GmbH und Lotto 24 AG. 30 Anbieter sitzen in Malta.
Von den fünf Lizenznehmern im Bereich Onlinepoker haben sogar alle ihren Sitz in dem EU Mitgliedstaat. Der Glücksspielmarkt im Internet bleibt somit fest in maltesischer Hand – deutsche Lizenznehmer scheinen kaum interessiert.
Würde ein legaler Markt ohne ausländische Anbieter überhaupt funktionieren?
Es drängt sich zunehmend die Frage auf, ob ein legaler Markt ohne ausländische Anbieter unter den derzeitigen Bedingungen überhaupt funktionieren könnte. Offensichtlich nehmen nur sehr wenige Unternehmen die vollständigen Kosten für die Bereitstellung eines Spielangebots in Kauf.
Die maltesischen Anbieter verfügen bereits über vollständige Infrastruktur inklusive IT Kapazitäten, Lizenzverträgen mit Spieleanbietern, Marketingabteilungen etc. Die Anbieter erzielen zudem Einnahmen in Malta und häufig auch weiteren Lizenzgebieten.
Deutsche Online Casinos ohne ausländischen Hintergrund müssen diese Kapazitäten erst aufbauen und ganz ohne Einnahmen in anderen Märkten operieren. Ob sich eine so hohe Investition angesichts der schwachen Dynamik auf dem Markt lohnt, ist ungewiss.